3 Apr 2017

Auf was habe ich mich bloss eingelassen?

Submitted by Hermann

Wahlkampf 2017 (3)

Auf was habe ich mich bloß eingelassen?

Die Wahlkampftour im Weserbergland beginnt mit vielen Zweifel

 

Foto: Wikimedia Commons, der "Steinhof" (Rathaussitz) in Bad Münder am Deister, wo ich am 8. März meine Kandidatur als parteiloser Direktkandidat zum Bundestag einreichte

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Dritte Folge

meiner Wahlberichterstattung, die mit Wahlkampf 2017 (1) und (2) begann.

 

 „Was können wir schon gegen die ‚da oben‘ machen?“ meinte der alte Mann auf meine Frage, ob er jemals an irgendeinem Gesetz mitgewirkt hätte, oder ob ihn wenigstens einmal jemand um seine Meinung zu einem Gesetzentwurf befragt hätte. Er sei doch auch Teil des Souveräns im Staate.

Seine Ohnmacht gegenüber der Obrigkeit wirkte noch resignierter durch seinen hilflosen Blick auf seine Tasse Kaffee in der Rewe-Frühstücksecke. Er, wie auch sein etwa gleichaltriger Tischnachbar, brauchten ihre Zeit, um mich offen anzuschauen. Beide Alten waren Rentner, der eine deutlich im Niedriglohnsektor, unter der Armutsgrenze von 1.100 Euro pro Monat, der andere gerade darüber liegend.

Die Rentner machten mich betroffen. Aber um Himmels-Willen durfte ich mir nichts anmerken lassen. Ich musste unwillkürlich an die vielen Armen in den Ländern der Peripherie denken, in denen ich gearbeitet habe. In Afrika, in Lateinamerika, selbst auf dem Balkan waren Arme überwiegend rebellisch gegenüber Obrigkeiten, denen sie ihre Misere verdankten und wirkten mir gegenüber nie derart resignierend, es sei denn, sie befanden sich im Bürgerkrieg. Was mir sogleich in den Kopf kam, war die Vermutung: „Diese Beiden sind die typische schweigende Wählerschaft der AfD, nicht die aufbegehrende, die sich in der PEGIDA-Bewegung lautstark zu Wort meldet.“

Was mich beinahe gänzlich aus der Fassung brachte, war die Antwort des Besserverdienenden auf meine Frage, ob das Rentenniveau der armen Rentenbezieher nicht wenigstens auf die Höhe eines Grundeinkommen von 1.100 Euro pro Monat angehoben werden müsste. Daraufhin kam dann doch eine einigermaßen kämpferische und stolze Antwort: „Wer in seinem Arbeitsleben wie ich 45 Jahre geschuftet hat, der kommt im Alter auch irgendwie zurecht.“

Diese kleine Begebenheit trug sich unmittelbar nach meiner Ankunft in meiner alten Heimatstadt Bad Münder zu, in der ich meinen Wahlkampf als unabhängiger Direktkandidat  unter dem Motto: „Vom Parteienstaat zur Bürgerrepublik“ beginnen wollte. Inzwischen sind fast zwei Wochen vergangen. Die Wohnsitzanmeldung nach 40 Jahren Auslandstätigkeit musste bekräftigt werden, der Kreiswahlleiter übermittelte die Formulare zur Direktkandidatur, und ich reichte meine offizielle Bewerbung in der Stadtverwaltung ein. Meine persönliche Website (hermann-gebauer.de), meine facebook- und twitter-Seiten wurden für den Wahlkampf aktualisiert und eine Online-Weserbergland-Zeitung (wbl-online.net), in der Bürgerinnen und Bürger kostenlos lesen, schreiben und kommentieren können, wird ebenfalls in Kürze eröffnet. Gottseidank bin ich nicht der einzige unabhängige Direktkandidat.  Es werden sich in mehr als 250 Wahlkreisen parteilose Direktkandidaten unter der Bezeichnung: „BÜRGERKANDIDATEN – für Gemeinwohl und Volksentscheid“ um ein Mandat für den kommenden Bundestag bewerben. 

Doch was nützt all die Arbeit an Programmerstellung und administrativen Voraussetzungen zur BT-Kandidatur, wenn Unabhängige, die die Bürger-Macht und Direkte Demokratie anstreben, von der geballten BT-Parteien-Macht erdrückt werden? Das beginnt mit finanziellen Wahlkampf-Mitteln, das geht über das Tot-Schweigen vonseiten der Mainstream-Medien, ganz besonders auch auf lokaler Ebene, das führt über die gefühlte Ohnmacht nicht nur des Niedriglohnsektors sondern auch, und das betrübt mich am meisten, des betuchten Mittelstandes, der betreten schweigt, wenn die Frage aufkommt: „Was habt Ihr in den 60er und 70er Jahren für eine bessere und humane und friedvolle BRD gekämpft? Und was ist aus der Bürger-Freiheit geworden? Ist sie dem schnöden Mammon und klebrigem Parteien-Filz geopfert?“  

Ehemalige Schulkameraden und Studienkollegen schweigen. Betreten? Schuldbewusst? Wissend, dass sie größtenteils ihren Lebensstandard der neokolonialen Ausbeutung der Peripherie zu verdanken haben? Oder ganz einfach die Meinung haben: „Der Hermann ist ein sozial-romantischer Spinner?“

Nur wenige Freunde bekennen sich offen dazu, für Volkssouveränität, Bürger-Macht, Humanismus und Direkte Demokratie einzutreten. 500 Jahre nach der Reformation, 250 Jahre nach der Aufklärung, 70 Jahre nach Verkündung der universalen Menschenrechte und Beginn des Prozesses weltweiter Frauen-Emanzipation steht der Prozess weltweiter Bürger-Emanzipation in den Sternen. Sollte nicht wenigstens in 2017 dazu ein Anfang gemacht werden? In stolzen deutschen Landen klopfen sich die BT-Parteien anerkennend gegenseitig auf die Schultern, wie sie doch die Bürgerinnen und Bürger geschickt von deren Souveräns-Rolle ausgrenzen um des Erhalts ihrer selbstsüchtigen politischen Macht willen. Wie viele saftige Stellen gibt es doch im Staatsapparat nach jeder Wahl zu verteilen?

Welche Insekten haben mich da gestochen, dass ich mich in meinem Alter aufmache, im deutschen Parteienstaat herumzustochern, um für Bürger-Freiheit, Humanismus und Soziale Gerechtigkeit, Weltoffenheit, Pazifismus und Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen zu streiten? Wie auch immer mein Wahlkampf ausgehen wird, allein die Ohnmacht vieler Menschen gegenüber der Obrigkeit, allein die Wohlbefindlichkeit einer Weiterso-Mittelschicht, die sich selbstverständlich das Recht auf satten Konsum auf Kosten der Habenichtse der Welt herausnimmt, bestärken mich, den Wahlkampf zu führen. Auch wenn er endet, wie ein jetzt durch Schulz übermütig gewordener SPD-Genosse meint: „Wenn Du mehr als 7% der Stimmen bekommen solltest, gebe ich Dir einen chilenischen Wein aus. Im umgekehrten Fall wirst Du blechen, und das ist jetzt schon gewiss.“  Sei’s drum.

 

Zu gegebener Zeit kommt die nächste Folge.