11 Jun 2018

Die Schildbürger von Bad Münder

Submitted by Hermann

Die Schildbuerger von Bad Muender 

 

Foto: Wikimedia Commons, Rathaus mit Marktstrasse in Bad Muender am Deister

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Die Schildbürger von Bad Münder

(Sketch)

In der Aula der Kooperativen Gesamtschule von Bad Münder am Deister, eine Schule, die nur die Mittelstufe unterrichtet, treffen sich fünf Schildbürger zu ihrer wöchentlichen Sitzung, um über das Schicksal der Stadt nachzudenken. Erstmals ist Öffentlichkeit zugelassen, um den Schildbürgern bei ihrem Bemühen zuzuhören und zuzusehen. Diese ehrenhaften und verdienten Bürger der Stadt sind der Kapitalist, der Politiker, der Untertan, der Fremdenfeind und die Mündige Bürgerin.

Der Politiker erhebt sich von seinem Sitz und begrüß die zuschauenden Bürgerinnen und Bürger.

Politiker:

Liebe Bürgerinnen und Bürger unserer schönen Badestadt im Deister-Sünteltal. Ab heute werden wir die Sitzungen unseres repräsentativen Stadtkomitees nicht länger heimlich abhalten. Auch wir in Bad Münder sind von jetzt an auf dem demokratischen Transparenz-Trip. Wie sie alle wissen, haben wir das Stadtkomitee eingerichtet, um endlich Schwung in den Münderschen Laden zu bringen. Der Stadtrat kommt wegen nie-endender Parteiklüngelei einfach nicht zu Potte. Unsere kleine aber feine Gruppe der klügsten Köpfe der Stadt wird aus unserer Gemeinde eine blühende machen, in der sich Heimat so richtig genießen lässt, frei nach den Mottos unseres großen Ex-Kanzlers und der ewigen Kanzlerin: ‚Ein Bad Münder im blühenden Deister-Sünteltal, in dem sich nach Herzenslust leben lässt.‘ Und nicht zu vergessen die verheißungsvollen Worte unseres geschätzten Sozi-Kanzlerkandidaten: ‚Mehr soziale Gerechtigkeit! Auch die Armen in Bad Münder sollen was zu futtern haben. Dafür haben wir ihnen die Tafel eingerichtet.‘

So, jetzt habe ich genug geredet. Die Sitzung ist eröffnet. Kapitalist, Sie haben das Wort.

Kapitalist:

Danke, Politiker, dass Sie mir das Wort erteilen. Ich wollte es gerade selbst ergreifen. Nichts gegen Ihre salbungsvollen Worte, aber wir müssen zur Sache kommen. Wie wir alle wissen, steht es um das Wohl unserer geliebten Stadt auf gut Deutsch gesagt sau-schlecht. Mit Verlaub, Politiker, das ist auch ihr Verdienst. Hätten Sie mehr auf mich gehört, sähe es ganz anders aus in der Stadt. Ich werde meine bisherige Zurückhaltung aufgeben. Die Ärmel der Stadtverwaltung gehören aufgekrempelt und die Bürgerinnen und Bürger müssen endlich ihren Hintern hochbekommen. Wenn das nicht geschieht, ziehe ich mein Kapital aus der Stadt ab und investiere da, wo ich mehr Knete machen kann. Dann könnt Ihr alle dahin gehen, wo der Pfeffer wächst. Nix da mehr mit dem hohlen Geschwätz von blühendem Deister-Sünteltal! Kapital und Arbeit wird es in Bad Münder nicht länger geben. 

Politiker:

Schnauft, holt tief Luft.

Kapitalist, die miese Situation der Stadt ist nicht nur meine Schuld. Untertan, machen Sie nicht so ein unschuldiges Gesicht. Wären Sie auf Draht, würde es hier anders aussehen. Sie vertreten doch die Masse der Münderaner hier. Wer zählt eigentlich zu Ihrer Spezies?

Untertan:

Einigermassen empört

Ich vertrete tatsächlich die überwiegende Mehrheit der Menschen hier in der Stadt, da haben sie ausnahmsweise mal Recht. Wir Untertanen sind es doch, die die Steuern zahlen, von denen Sie leben. Wir sind es doch, die den Mund halten, damit sie als Politiker in Ruhe Ihrer Arbeit nachgehen können. Wir sind es doch, die Ihr Weiterso mit Kräften unterstützen, damit sie auf keine neuen Ideen kommen, die sie eh nicht haben. Wir sind es doch, die jeden Tag dem Kapitalisten in den Arsch kriechen, damit der seinen Reibach machen kann. Wir sind es doch, die die Gärten der Einfamilienhäuser so schmuck instand halten und dem Fremdenfeind zu seinem losen Maul verhelfen. Gäbe es uns nicht, sähe es im Deister-Sünteltal ganz anders aus. Sie Politiker wären nicht an der Macht. Sie Kapitalist wären längst in Ballungszentren abgerauscht. Sie Fremdenfeind wären von mündigen Bürgern längst aus der Heimat vertrieben. Gebt doch endlich zu, dass ich es bin, zusammen mit meinen Untertan-Genossen, die die Bude hier am Laufen halten.

Fremdenfeind:

Energisch:

Also, ich sehe das komplett anders und mit mir bestimmt ein Fünftel der Bürgerinnen und Bürger. Die wahren Deister-Süntel-Verteidiger sind wir. Würden wir Musels und Neger dahin schicken, von wo aus sie sich auf den Weg in unsere soziale Hängematte gemacht haben, sähe es in der Heimat besser aus. Der Kapitalist brauchte keine Dolmetscher anstellen, der Politiker könnte länger schlafen, anstatt sich um Merkels Kulturbereicherer zu kümmern. Der Untertan brauchte kein Pfefferspray zu seiner Verteidigung zu kaufen. Und Sie, liebe Mündige Bürgerin, könnten Ihr Jogging in sexy Kleidung gefahrlos absolvieren, ohne auf Messerstecher achten zu müssen. Unsere Heimat ist aus den Fugen geraten. Der ewigen Kanzlerin sei Dank!

Mündige Bürgerin:

Jetzt lassen wir mal unsere Polemik in den eigenen vier Wänden. Die Bürgerschaft erwartet von uns, dass wir Zukunftsaufgaben anpacken. Wir sollten nicht versuchen, Frau Merkels nicht vorhandene Dynamik und ihr ewiges Weiterso zu kopieren. Mit dieser Haltung würden wir garantiert noch mehr baden gehen, als es ohnehin der Fall ist. Seien wir ehrlich, Bad Münder mit seinen 18Tausend Einwohnern müsste doch eine Oberstufe haben, ebenfalls eine Berufsschule. Und in Hameln geben sich der OB und die Industrie- und Handelskammer damit zufrieden, dass es keine Uni gibt. Dafür fließt beim Abi das Bier in Strömen, bevor die jungen Leute den endgültigen Abgang aus dem Weserbergland machen. Ich möchte vorschlagen, wir denken uns ein Zukunftsprojekt für Bad Münder aus, das geeignet ist, unseren Kindern und Enkelkinder eine Zukunftsperspektive zu geben. Ich vertrete zwar nur ein kleine Zahl von Bürgerinnen und Bürgern, die wahrhaftig nachdenken und sich den Mund nicht verbieten lassen, aber wir fühlen uns verantwortlich für alle Menschen in Stadt und Land, Einheimische wie Zugezogene.

Kapitalist:

Begeistert

Dem Vorschlag, über die Zukunft nachzudenken, stimme ich vorbehaltlos zu. Fangen wir mal an mit dem alten Kurhotel. Dieses total vergammelte Gebäude in strategischer Lage am Kurpark kann in Zukunft für die Stadt eine Goldgrube sein. Da würde ich glatt mein Kapital einsetzen. Wir sollten dort einen Puff mit angeschlossenem Motel und Spa einrichten. Zusätzlich eine Spielhölle mit Bowlingbahn erbauen. Die Klientel würde aus Hameln, dem Umland und selbst aus Hannover anrauschen, um in anonymer Umgebung den Stress des heutigen Berufslebens abzuschütteln. Das sexuelle Vergnügen wird mit Spielsucht, anschließender Verlustigung im Kurpark sowie Genuss von Gesundheitswässerchen kombiniert. Das bringt jede Menge feste Stellen und zahlungskräftige Touristen in die Stadt. Eine Luxussteuer auf die lustbringenden Aktivitäten würde der Gemeinde zusätzliche Steuereinnahmen verschaffen. Ich könnte mir auch vorstellen, die Stadt würde sich in Zukunft zu einem zweiten St. Pauli oder Las Vegas mosern. Habe ich Recht Politiker? Für Flüchtlinge ist ein solches Projekt besonders attraktiv. Das setzt keine zusätzliche Berufsausbildung und nur rudimentäre Sprachkenntnisse voraus. Die Männer könnten billig als Wach-Personal beim Parken eingesetzt werden. Dann allerdings mit Pistole und nicht mit Klappmesser. Die Musliminnen sind im Motel zu gebrauchen, um die Zimmer auf Zack zu halten. Das hält die Kosten niedrig, und allen wäre gedient. Es wäre ein echtes Win-win-Projekt, bei dem alle Beteiligten gewinnen. Politiker, das wäre doch echt mal eine Aufgabe für Sie. Mit so einem Projekt können Sie ihre Laufbahn krönen und ihre Anstellung schon bis zur Pensionierung planen.

Politiker:

Angefressen

Kapitalist, sie wissen doch, wie ich mich seit eh und je um die Belange der Bürgerinnen und Bürger einsetze, vor allem auch um die der Kleinkinder. In der vergangenen Woche habe ich im Planschbecken des Rohmel-Bades eine neue Rutschbahn eingeweiht. Es gab auch Eierlaufen und Sackhüpfen. Selbst die Flüchtlingskinder waren mit Begeisterung dabei. Aber auch die Autofahrer haben von meinem Einsatz profitiert. An einigen Stellen auf der Bahnhofstrasse wurden die schlimmsten Schlaglöcher geflickt. Die Jugend wird im Schwimmbad im Sommer ein Bierfest im Bikini und Badehose veranstalten können. Wenn der Oberbürgermeister von Hameln zwölf Bierfeste im Jahr und sechs Pflasterfeste für die Jugend veranstalten will, dann werden wir von Bad Münder aus extra Busverbindungen einrichten. Für ausreichend Fun wird jedenfalls gesorgt. Auch der zukünftige Sandstrand in Hameln an der Weser, das großartige Zukunftsprojekt 2030 der Rattenfängerstadt, wird von Bad Münder aus mit dem Fahrrad zu erreichen sein. Das hat mir der OB versprochen. Kapitalist, ihr Vorschlag eines Edel-Puffs in Ehren, aber meine Aktivitäten sind ebenfalls nicht von Pappe. Die neueste Verbesserung des Bürger-Feeling wurde durch erhöhte Disziplin bei der Tafel und dem Umsonstladen erreicht. Deutsche und ausländische Nutzer drängeln sich nicht mehr vor. Nur auf ausdrückliches Kommando hin werden sie jetzt eingelassen. Dafür habe ich persönlich mit den Ehrenamtlichen geübt.  

Untertan:

Der Vorschlag eines Vergnügungsviertels am Kurpark klingt nicht schlecht. Wenn das Geld und Arbeit bringt, warum nicht? Ich brauche das zwar nicht; habe eine Grillecke im Garten eingerichtet, in dem auch genügend Auslauf für den Hund ist, damit er nicht den Kurpark voll scheißt. Auch die Wochenendfeste sind nichts für mich. Meine Frau und ich ziehen uns lieber einen Jägermeister rein und gucken Bundesliga. Außerdem besuchen wir einmal in der Woche den Wochenmarkt und setzen uns beim Italiener rein. Der Verbrauchermarkt hat zwar die kleinen Geschäfte kaputtgemacht, aber man geht halt mit der Zeit. Dank Dir auch Politiker, wie Du Dich für Kinder einsetzt. Das Sackhüpfen und Eierlaufen fördert die Geschicklichkeit. Und die Integration der Flüchtlinge scheint ja jetzt zu klappen.

Fremdenfeind:

Von meiner Seite zwei Vorschläge. Erster Vorschlag: Raus mit den Musels und Negern aus Bad Münder. Wir sollten die erste flüchtlingsfreie Stadt Deutschlands werden. Allein das würde schon massenhaft Kapital in die Stadt bringen. Stellt Euch nur einmal vor, am Deisterbahnhof stünde: Bad Münder am Deister, flüchtlingsfrei! Wir könnten uns vor deutschen Zuzüglern gar nicht retten. Zweiter Vorschlag: In der Übergangszeit der Säuberung unserer Heimatregion musst Du Politiker eine Vorschrift erlassen, dass eine Ansammlung von zwei und mehr handy-ausgerüsteten Flüchtlingen als strafbare Zusammenrottung gilt. Zuwiderhandeln wird umgehend gemeldet und den zuständigen Behörden wird die sofortige Abschiebung empfohlen. Ich würde freiwillig jeden Nachmittag in der Nähe des Kurparks lauern, um bei erstbester Gelegenheit die Polizei zu benachrichtigen.

Mündige Bürgerin:

Es tut mir in der Seele weh, Eure Meinungen und Absichten zur Zukunft meiner Heimatstadt Bad Münder zu erfahren. Gottseidank hatten die Flüchtlingskinder mit ihren Eltern die Schule bereits verlassen, bevor wir die Sitzung begannen. Also, wenn Ihr die Elite der Stadt repräsentiert, dann ‚Gute Nacht, Marie!‘ Dann muss ich mir überlegen, ob ich mit meiner Familie hier auf Dauer meine Heimat bauen kann. Das hatten sich offensichtlich schon andere Muenderaner überlegt, die aus der Stadt fortgezogen sind. Zukunft sieht m. E. jedenfalls anders aus. Sie ist vor allem kein verdammtes Weiterso mit Infrastrukturen, die reihenweise verkommen. Auf Schritt und Tritt sieht man, was hier morsch und baufällig ist. Die schwarze Null unseres schwäbischen Finanzministers schlägt unbarmherzig zu. Und der Bürger Bad Münders lässt das geduldig wie ein Opferlamm über sich ergehen und zuckt mit den Schultern. Noch gibt es das italienische Cafe, den Wochenmarkt und das Schwimmbad mit kaputtem Hallenbad. Noch gibt es für die Häuslebauer nach dem Krieg das Eigenheim mit Garten. Aber die Kinder sind nicht mehr da. Sind anderswo. Dafür gibt es viele Alte und Pflegeheime. Die Betriebe machen dicht und neue siedeln sich nicht an. Für die Schulabgänger heißt es jedes Jahr aufs Neue: „Tschüss, es war eine schöne Zeit, aber jetzt ist Sense.“ Die Stadt atmet Mittelmäßigkeit, miefiges Parteien- und Seilschaften-Gezänk, Ideenlosigkeit, fehlende Zivilcourage und Mitläufertum ohne Ende. Integration von Flüchtlingen bedeutet billig für Deutsche arbeiten aber nicht mit Deutschen unter einem Dach leben. Ich muss sagen, die Sitzung unseres elitären Stadtkomitees war interessant. Mal sehen, wie es in einer Woche weitergeht. Gut, dass jetzt alle Einwohner die Möglichkeit haben, uns zuzuhören, zuzusehen und sich über uns eine Meinung zu bilden. Wie lange halten sie es aus, bis sie uns den Garaus machen?

Politiker:

abschließend:

Mündige Bürgerin, Sie dürfen alles nicht so schwarz sehen. Auch wenn Schwarz die Lieblingsfarbe unseres Finanzministers ist und er bei Rot echt Rot sieht. Wir alle sind Menschen und wollen nur unser Bestes, vor allem das Beste für uns selbst. Und da stehen die Bürgerinnen und Bürger von Bad Münder nicht allein. Wer wird es ihnen übel nehmen, wenn sie bequem sind, wenn sie nur an sich denken und nur an das Heute? Vielleicht wird die Zukunft andere Verhaltensweisen hervorbringen. Dafür ist ja auch diese öffentliche Sitzung gut. Die jungen Zuschauer werden daraus ihre Schlüsse ziehen. So, jetzt wünsche ich einen guten Nachhauseweg und hoffentlich in einer Woche ein Wiedersehen!  

 

Ende des Sketches

 

 

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Kommentare

Wie immer gute Überlegung zum aktuellen Stand in Bad Münder.
Bitte nicht stören, wir schlafen gerade!